„Am meisten lernte er von dem Clown Valentin, der in einer Bierhalle auftrat.“ Bertolt Brecht, Schriften zum Theater – Der Messingkauf
In einer Zeit vor oder nach unserer Zeitrechnung finden 12 Clowns Schutz in einem Theater. Ausserhalb der Theatermauern herrscht grosse Gefahr. Die Menschenwelt wird mehr und mehr kontrolliert von Kräften, die es sich zum Ziel gemacht haben, die letzte Bastion der Menschlichkeit, die Kreativität und vor allem ihre höchste Vertreterin, die Komik, zu kontrollieren. Letzter Widerstand wird mit Waffengewalt gebrochen. Maschinen und Logarithmen sollen unmittelbare Kunst, Zwischenmenschlichkeit und Empathie übernehmen. Es gilt nur eine Wahrheit – die der Bestimmenden. Europa und die westliche Welt wird zu dem, was sie ihren ehemaligen Kolonien unterstellen: Eine Bananenrepublik – Eigentlich gefundenes Fressen für Clowns! Und ausgerechnet Humor ist den Vertretern der einfachen Wahrheit, die sich ständig mit der Präposition «VOLKS-» schmücken, ein Dorn im Auge.
Während sich die Clowns in Sicherheit bringen, stossen sie auf zwei Dinge: Letzte, ebenfalls geflohene, Vertreter der analogen Wahrnehmung: Publikum – und einen Text von Bertolt Brecht: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Geleitet von ihrer kindlichen Neugier und ihrem unaufhaltsamen Spieltrieb folgend, öffnen sie das Buch…
Brecht und Clowns?
Darf das überhaupt sein?
Lassen wir doch den Meister selbst sprechen. In seinen Schriften zum Theater – Der Messingkauf – Gesammelte Werke in 20 Bänden, Band 16, Suhrkamp, Frankfurt/ Main 1967 schreibt Brecht von sich selbst in der dritten Person: „Er war ein junger Mann, als der erste Weltkrieg zu Ende ging. Er studierte Medizin in Süddeutschland. Zwei Dichter und ein Volksclown beeinflußten ihn am meisten. In diesen Jahren wurde der Dichter Büchner, der in den [ dreißiger] Jahren geschrieben hatte, zum ersten Mal aufgeführt, und der Stückeschreiber sah das Fragment »Woyzeck«, außerdem sah er den Dichter Wedekind in seinen Werken auftreten, mit einem Stil, der im Kabarett entwickelt worden war. Wedekind hatte als Bänkelsänger gearbeitet, er sang Balladen zur Laute. Aber am meisten lernte er von dem Clown Valentin, der in einer Bierhalle auftrat. Er spielte in kurzen Skizzen renitente Angestellte, Orchestermusiker oder Photographen, die ihren Unternehmer haßten und lächerlich machten. Den Unternehmer spielte seine Assistentin, eine Volkskomikerin, die sich einen Bauch umschnallte und mit tiefer Stimme sprach. […]“
Bezüglich der Werktreue notiert Brecht: „Seine Schauspieler waren keine Kellner, die das Fleisch zu servieren hatten und deren persönliche, private Gefühle unverschämte Belästigungen genannt wurden. Sie waren weder die Diener des Dichters noch die des Publikums. […] Es gab Späße privater Art, Improvisationen und Extempores auf seiner Bühne, die im alten Theater undenkbar waren.“
Infolgedessen, „back to the roots“ sozusagen, wird der dritte Jahrgang der Schauspielschule Krauss, Brecht als diejenigen Figuren spielen, die am nächsten bei den Herzen der Zuseher andocken, weil sie von einem Problem ins nächste stolpern, für die das Scheitern Alltag und deren pure szenische Existenz die Poesie ist:
Clowns.
Möge die Übung misslingen.
Andreas Simma
Die Ideen, die Brecht in seinen Stücken anprangert, klopfen ungeniert an unsere Türen.
Die zerstörerischen Ideen der Vergangenheit wurden überarbeitet, die Erzählungen angepasst und neue Feinde geschaffen, aber der krankhafte Extremismus und die autoritären und abstrusen Reden sind immer noch dieselben.
Für mich als Lateinamerikanerin, hatte, was in Europa während des Ersten und Zweiten Weltkriegs geschah, keinen direkten Einfluss auf die historische Kulturwelt, in der ich aufgewachsen bin.
Um über einen so tiefen Schmerz, eine so große Tragödie zu sprechen, berufe ich mich auf Gefühle, die ich immer mit den Menschen in meinem Land und auf meinem Kontinent hinsichtlich der Diktaturen, der Verfolgung der indigenen Völker und der Entführung und Vermarktung dunkelhäutiger Menschen geteilt habe.
Ich kenne diesen Schmerz gut. Leider! Er ist auch bei mir immer noch stark spürbar.
Wir alle teilen die Angst und den Schmerz der Vergangenheit.
Ich muss nicht auf europäischem Boden geboren sein, um die Angst vor Verfolgung zu verstehen. Ich muss nicht auf österreichischem Boden geboren sein, um die Ängste und die Last einer möglichen Wiederholung der Geschichte zu verstehen. Ich muss nicht zu einer bestimmten Gruppe von Menschen gehören, die verfolgt wurden. Die Völker, von denen ich abstamme, wurden ebenfalls verfolgt, verkauft und als seelenlose Objekte ausgerottet und dieser Horror begleitet uns jeden Tag.
Daher fühle mich in der Lage, Brecht zutiefst zu verstehen, seine Texte aufzugreifen. Sein Anliegen ist auch mein Anliegen: die Menschen der Gegenwart zu wecken und vor den Gefahren zu warnen, die uns noch immer bedrohen.
Der Schoss ist fruchtbar noch…
Gibt es eine bessere Art, diesen großen Dramatiker zu ehren und seinen distanzierten Theaterstil zu würdigen, als in die Welt des Clowns einzutauchen?
Das ist Distanzierung auf die Spitze getrieben.
Mögen wir über all diesen Horror lachen, bevor er uns zum Weinen bringt.
Adriana de Salles
6.6. bis 9.6., jeweils um 19:30 Uhr im Schauspielhaus Wien
Karten und Info: https://www.schauspielhaus.at/arturo_ui